Zwei Präsidenten, die Geschichte schreiben und Präzedenzfälle schaffen
Viel ist schon geschrieben und spekuliert worden über das Verhältnis der Staatschefs der zwei größten und bedeutendsten Länder Südamerikas, die beide im vergangenen Jahr ihr Amt antraten: Lulas, des kämpferischen Gewerkschaftsführers, Sozialisten, Mitbegründers einer großen Linkspartei, und Kirchners, des unscheinbaren Anwalts und Provinzgouverneurs, bis zu seiner Wahl international völlig unbekannt.
Wahrscheinlich ist es ihr unterschiedlicher persönlicher Hintergrund, der verhinderte, dass die beiden Präsidenten sofort aufeinander zugingen und eng zusammenarbeiten. Doch wird diese Zusammenarbeit immer stärker und umfassender. Mitte Oktober des Vorjahres, als Lula seinen argentinischen Amtskollegen besuchte, unterzeichneten die beiden Staatsmänner den „Buenos Aires Konsens“ – als bewussten Gegenpunkt zum „Washington Konsens“ –, der u.a. ein gemeinsames Vorgehen bei den Verhandlungen zur Gesamtlateinamerkanischen Freihandelszone, eine engere wirtschaftliche Kooperation und eine gemeinsame Position hinsichtlich der Auslandsschulden enthält.
Doch gerade hier zeigte sich eine grundverschiedene Vorgangsweise der beiden. Während Lula sich den internationalen Finanzorganisationen gegenüber mustergültig – in derem Sinn – verhält, alle Schulden pünktlich zurückzahlt und brav den vom Weltwährungsfonds geforderten Haushaltsüberschuss von 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, verfolgte Kirchner von Anfang an eine harte Position gegenüber dem IWF. Er verlangte eine Streichung von 75% der Schulden bei privaten Gläubigern und gestand nur einen Budgetüberschuss von 3% zu.
Bei einem Treffen von Lula und Kirchner Ende Februar in Caracas am Rande des G-15-Gipfels schlug die Nachricht wie eine Bombe ein, dass die zwei Präsidenten nunmehr gemeinsam mit dem IWF verhandeln wollen. Lula wird seinen Chefunterhändler mit dem Währungsfonds – der Argentinien wegen seiner Position immer wieder kritisiert hatte – entlassen. Es wird wohl mit Recht spekuliert, dass Lula seine Rolle als IWF-Musterschüler ändern will. Die erfolgreiche Verhandlungsführung Kirchners wird ihn in dieser Absicht wohl bestärken. Am 9. März gab IWF-Interimspräsidentin Anne Köhler den Abschluss eines Abkommens mit Argentinien bekannt, in dem praktisch alle Forderungen der Regierung in Buenos Aires akzeptiert wurden.